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Großteile der Arbeitswelt wurden quasi über Nacht digitalisiert. Persönliche Meetings und Kundentermine vor Ort wurden weitestgehend gestrichen. Jetzt stellt sich die Beratungsbranche zwei wichtige Fragen: Wie kann Beratung in Zeiten von globalen Krisen funktionieren? Und wird sich die Arbeitsweise von Beratern auf lange Sicht grundlegend verändern?  Im Rahmen unserer regelmäßigen Interviews und am Höhepunkt der globalen Pandemie (Ende April 2020) , habe ich mit Sabrina Bouchenak, Projektleiterin bei KEARNEY, gesprochen. Eine Unterhaltung über den Beraterberuf, digitale Arbeitsweisen und mögliche Chancen der Virtualisierung.  

Über den Einstieg in den Beraterberuf und wichtige Fähigkeiten

Bereits während ihres Betriebswirtschafts- und Wirtschaftsingenieurstudiums hat Sabrina als Beraterin gearbeitet. Das ist auch einer ihrer Tipps für den Einstieg als Consultant. „Am weitesten gebracht hat es mich, im Studium sehr viel zu arbeiten, sowohl im Konzern als auch in der Beratung. Ich würde jedem empfehlen, beide Bereiche auszuprobieren. 

Danach war ich mir noch sicherer, dass Beratung das Richtige ist. Mir gefällt die Abwechslung und das Gefühl, jeden Tag etwas neues zu lernen.” Wenn die Leistung stimmt, machen Sie als Berater schnell Fortschritte. Sabrina betont außerdem, dass man viele Recruiting Events besuchen sollte. Dort bekommt man viele Insights, man kann schnell einen guten Eindruck machen und man wird auf die Case Interviews vorbereitet. „Die sind oft die größte Hürde.” 

Die Projektleiterin nennt zwei ausschlaggebende Rekrutierungskriterien: Persönlichkeit und analytische Fähigkeiten. Was den Personal Fit anbelangt, so stellt sie sich, wenn sie persönlich in den Rekrutierungsprozess involviert ist, immer die Frage: „Würde ich mit dem Bewerber ein Bier trinken gehen?”

Ich werfe einen zweiten Blick auf den Rekrutierungsprozess und frage sie, ob sie der Meinung ist, dass die Corona-Krise die Karrierewege verändert. Für Sabrina ist klar, dass man die Teamfähigkeit und die Kommunikation mit Klienten im virtuellen Raum schwerer prüfen und bewerten kann. „Besonders wenn jemand auf der Sprung zum nächsten Rank steht, entscheiden oft Präsentationsskills und persönliches Auftreten. Die neue Situation könnte es schwieriger machen, sich als Person zu profilieren.”

Wie das Home Office die Beratung verändert

Kundenbesuche vor Ort und die gemeinsame Mittagspause sind nur einige der Dinge die wegfallen. Die große Frage ist, wie schwer ist es ein Team digital zu leiten und Projekte virtuell durchzuführen? Sabrina berichtet von einem größeren Abstimmungsaufwand. „Ich kann tagsüber kaum selbst arbeiten, weil ich mich von einem Meeting ins nächste wähle. Jetzt muss ich Telefonate vereinbaren um das zu besprechen, was wir eigentlich kurz zwischen den Meetings besprochen hätten.” Ihr ist es außerdem besonders wichtig, dass der Teamzusammenhalt erhalten bleibt,

weshalb sie regelmäßig morgens und abends mit ihrem Team telefoniert. So können sie gemeinsam den Tag planen, und jeder weiß was er zu tun hat. Die Leistung im Team hat bisher auch nicht gelitten. Schlussendlich arbeitet Sabrina mehr als vorher, gerade weil der Arbeitstag nicht wirklich endet und Pausen schwer eingehalten werden können. 

Neben den Herausforderung gibt es aber auch Dinge die einfacher laufen. „Wir nehmen uns häufiger Zeit fürs Teambuilding. Wir treffen uns einmal die Woche donnerstags virtuell für eine Happy Hour. Sonst haben wir das vielleicht alle sechs Wochen gemacht. Donnerstagabend ist ja eigentlich die Zeit wo alle abreisen. Auch virtuell ist der Teamgedanke groß.”

Die Arbeit, also das Coaching, die Beziehungen zu Klienten und das Team führen, bleibt im Grunde ja die gleiche, so Sabrina. „Und auch auf der Kundenseite schafft man es zum Teil, auf eine persönlichen Ebene zu kommen. Man trägt entspannte Kleidung, und der Hintergrund im Homeoffice lädt zeitweilig zu Gesprächen ein.”

Hat man man durch das virtuelle Arbeiten vielleicht auch einen einfacheren Zugriff auf internationale Experten? Sabrina erklärt, dass sie schon vor der Krise mit internationalen Experten gearbeitet haben. Ihr Marketingexperte sitzt beispielsweise nicht in Deutschland. „Wir hatten einige Kliententermine und wir hätten unseren Marketingexperten jedes mal einfliegen müssen, was nicht effizient gewesen wäre. Jetzt war es kein Problem und er konnte sich einfach mal für eine halbe Stunde einwählen. 

Ist das eine bedeutende Verbesserung? „Wenn du es sonst angeboten hättest, hätten alle in einem Raum gesessen und nur er wäre zugeschaltet gewesen, das wäre auch suboptimal. Jetzt stellt sich diese Frage gar nicht. Es macht das ganze wirklich einfacher.”

Gegenseitiges Verständnis und wechselnder Fokus bei Beratungen

Nicht nur die Organisation der Tagesstruktur und der Teams verändert sich, sondern auch die Situation der Auftraggeber. „Wenn Firmen Kurzarbeit anmelden und sich dadurch die Projektprozesse verlangsamen, ist es schwer die gleiche Arbeit in der gleichen Zeit zu schaffen.” Sie wünscht sich beidseitige Rücksichtnahme und Nachsicht, weil alles etwas langsamer geht als sonst. 

Hat sich der Beratungsansatz geändert hat oder wurde das analoge Format einfach nur in die digitale Welt übertragen? „In einigen Bereichen hat sich der Schwerpunkt geändert. Die Generierung von kurzfristigen Cashflow und Einsparungen wird immer wichtiger. Außerdem wird unser Ansatz noch agiler, da der Kunde kurzfristig Unterstützung, also helfende Hände, braucht. Akute Probleme werden sehr pragmatisch gelöst. Das habe ich in vielen Projekten beobachtet und ich denke, das ist eine positive Veränderung.” 

Und wenn die Krisenzeit vorbei ist und die alten Ziele wieder gelten würden, würdet ihr das machen was ihr vorher auch gemacht habt? Würde das Arbeiten anders aussehen?. „Das grobe Vorgehen wäre wahrscheinlich das gleiche. Remote Arbeiten hat darauf wenig Einfluss. Stattdessen könnte sich die Meetingkultur verändern. Aus einem Workshop mit 10 Leuten könnten dann mehrere Workshops mit weniger Leuten werden.” 

Von der Notwendigkeit zum neuen Arbeitsmodell – Die Zukunft der Beratung

„Die Situation hat gezeigt, dass Berater nicht immer unbedingt reisen müssen. Und natürlich ist das Reisen schön. Und es wäre schöner mit den Leuten in einem Raum zu sitzen und dann hat man auch ein ganz anderes Gespür dafür wie jemand auf eine Präsentation reagiert, aber auch ohne hat es funktioniert. Die Krise hat uns eine wesentliche Erkenntnis gebracht: man kann in der Beratung bleiben auch wenn man nicht dauerhaft vor Ort sein kann, z.B. wegen der Familie. Oder man kann auch mal nur 2 Tage vor Ort sein. Wenn alle öfter virtuell arbeiten, wird es akzeptiert. Denn wenn sich die ganze Branche verändert, stellt sich die Frage der Machbarkeit gar nicht mehr.” 

Von agileren Beratungsansätzen, zu mehr Teambuilding und einem flexibleren Umgang mit Experten aus dem Ausland, aber auch zu längeren Arbeitstagen und einem höheren Abstimmungsaufwand. Wie wird das alles oder ein Teil davon sein, wenn wir wieder zur Normalität zurückkehren? Welcher Grad an virtueller Beratung wird bestehen bleiben? Vielleicht entsteht daraus ja auch eine größere Akzeptanz fürs Remote Arbeiten in der Beratungsbranche. Dies könnte den Beratern mehr Spielraum in Bezug auf Reise- und Familienplanung geben und dazu beitragen, vielfältigere Talente anzuziehen und zu halten.

Sabrina Bouchenak

Master im Wirtschaftsingenieurwesen in Dortmund. Danach Einstieg in die Beratung bei 4flow, die sich auf Supply-Chain-Management und Logistik spezialisieren. Seit einem Jahr arbeitet sie bei der international tätigen Unternehmensberatung KEARNEY. Dort arbeitet sie seit Januar als Managerin, hauptsächlich im Bereich Operations.