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Ein Interview mit Marcus Schüller, Management Consultant

Ich traf Marcus Schüller Mitte Oktober 2019 im berühmten Geißbockheim, dem Trainingsgelände unseres gemeinsamen Lieblingsfußballvereins – des 1. FC Köln. Seitdem hat sich viel verändert. In der Welt, in unserer Heimatstadt Köln und in der Wirtschaft.

Das Geißbockheim des 1. FC Köln ist Treffpunkt für ein Gespräch über eine Branche, die sich im vielleicht tiefgreifendsten Wandel ihrer Geschichte befindet. Im Rahmen unserer Interview-Serie mit Unternehmens- und Managementberatern spreche ich mit Marcus Schüller, Einkaufsexperte und Partner bei einer bekannten Strategieberatung. Ein Austausch über Anfänge in klassischen Mom & Pap Companys, analoge und digitale Beratungsleistungen, neue Technologien und natürlich den FC. Über allem steht die wohl meistgestellte Frage der Branche: Wie haben sich die Kundennachfrage und das Angebot von Unternehmensberatungen verändert? Bitte denken Sie daran, dass dieser Austausch lange vor der Corona-Krise stattfand.

Schnell wird eines klar: Die Gesetzmäßigkeiten der Branche haben sich nach Schüllers Meinung nicht drastisch verändert, sondern vielmehr verlagert. „Egal ob man heutzutage klassische analoge Beratung oder digitale Beratung macht: Du brauchst Kunden und einen gewissen Bekanntheitsgrad. Außerdem musst du Qualität abliefern. Was heute anders ist – das sehe ich aber eher als Chance und nicht als Problem – ist, dass die Bandbreite der Möglichkeiten viel größer ist. Früher hat man sich als Berater sozusagen selbst verkauft.

Heute verkauft man häufig auch eine Technologie – je nach Geschäftsmodell.“ Beratung ohne Technologie ist aktuell natürlich nur noch schwer vorstellbar, es sei denn, man bewegt sich als „Personal Advisor“ des Top-Managements. Noch vor einigen Jahren war mit dem Begriff „Technologie“ fast ausschließlich die Projektanalyse mit Excel oder PowerPoint gemeint; im Jahr 2019 gibt es selbstredend ganz andere Tools für die Datenverarbeitung  und die Analyse

 bei Beratungsprojekten. Und diese Tools machen die Analyse nicht nur schneller, sie sorgen für entsprechende Effizienzgewinne und steigern die Ergebnisqualität merklich. Als Differenzierungsfaktor fungieren sie laut Schüller allerdings nicht: „Die Differenzierung findet wahrscheinlich woanders statt, eher im hinteren Teil der Wertschöpfung, also in der Konzeption oder Umsetzung. Die bekannten Strategieberater investieren meines Wissens nach auch deshalb z.B. weiter stark in den Bereich Operations.“

Darüber hinaus sieht der Kölner Beratungsexperte die Internationalisierung der gesamten Branche – begünstigt durch Digitalisierung und verbesserte Kommunikation – als wichtigen Einflussfaktor. Denn die virtuelle Arbeitsform hat massiven Einfluss auf das Beratergewerbe. So sitzen vielfach bei Großprojekten nur noch kleine Teams vor Ort, der überwiegende Teil arbeitet virtuell. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass hier nicht immer nur Kostenfaktoren eine Rolle spielen. Das Hauptanliegen der Virtualisierung ist schlichtweg die richtigen Kompetenzen immer verfügbar zu haben. Klar, die fortschreitende Digitalisierung begünstigt die Internationalisierung der Managementberatung in enormem Maße. Regionale Präsenz spielt dann eher weiterhin in der Wirtschaftsprüfung oder Steuerberatung eine wichtige Rolle.

War for Talents in den Unternehmensberatungen: Was geschah und was geschieht.

 Wie bereits erwähnt, verändert die Internationalisierung die Arbeitsweise von Beratern. Zählt hierzu auch die klassische Beraterwoche, also vier Tage beim Kunden vor Ort, ein Tag im Büro? Marcus Schüller bejaht dies für die klassische Managementberatung. Und wie wirkt sich diese Wahrnehmung auf junge Leute, also auf den Beraternachwuchs, aus? Auch hier hat Schüller eine klare Meinung:

„Die Erwartungshaltung hat sich ziemlich verändert. Heutzutage sind weniger Leute an einer klassischen Managementberatung interessiert, bei der am Wochenende zu arbeiten eher Standard ist. Die Herausforderung für Beratungsunternehmen ist es, ein Umfeld zu bieten, das die Erwartungen der jungen Leute erfüllt. Dazu kommen die hohen Anforderungen vom Kunden. Das macht es schwerer, für Bewerber eine geeignete Work-Life-Balance zu schaffen.“

Doch aus seiner Erfahrung zeigt sich auch: die richtige Mischung aus Spezialisierung auf hohem Niveau, anspruchsvolle, oftmals internationale Kunden und die Möglichkeit zur raschen individuellen Entwicklung haben immer noch ihre Anziehungskraft. Zusätzliche Faktoren wie z. B. Familien-Aspekte spielen zwischenzeitlich zumindest bei den größeren Firmen auch eine wichtige Rolle.

Kundenzugänge ändern sich. Welche Rolle spielen jetzt und in Zukunft digitale Netzwerke als Vertriebskanal?

Durch veränderte Kundenzugänge haben sich auch die Verhaltensweisen geändert. Welche Auswirkungen hat das auf die Vertriebskanäle von Beratungsleistungen und welche Rolle spielen Netzwerke dabei? Dazu der passionierte FC-Fan und leidenschaftliche Berater Schüller: „Es hat sich mit Sicherheit einiges verändert. Wenn ich jetzt mal bei den unterschiedlichen Beratungsformen bleibe, also klassische Managementberatung versus Technologie- und Managementberatung versus reine Technologieanbieter, sehe ich schon wie vielfältig der Vertrieb ist. Die Managementberatungen sind noch immer eher klassisch geprägt durch starke Netzwerke, Marketing und Ausschreibungen. Bei Technologieberatern ist es teilweise strukturgetriebener Vertrieb, der noch stattfindet, wie es früher bei Software-Anbietern der Fall war. Dann kommen wahrscheinlich auch neue Vertriebskanäle dazu, wie z. B. bei eurer Plattform von APADUA, die sich als neue Modelle etablieren. Ein weiteres Thema sind zum Beispiel soziale Medien. Ich kann tatsächlich behaupten, dass ich einige Projekte direkt über soziale Medien verkauft habe.“ Dabei ist ein einfaches Posting nichts anderes als Marketing, wie Schüller erklärt: „Also es ist nicht so, dass mich jeden Tag jemand anschreibt und sagt: Ich habe hier ein Projekt und möchte, dass du das gerne machst. So schön ist die Welt leider nicht. Also macht man Marketing für die Firma oder das Thema, für das man steht und wird dann zu dem Thema angesprochen. So kommt dann der Kontakt zustande.“

Welche Rolle der Einkauf von Beratungsleistungen aktuell innehat.

„Der Einkauf spielt auf jeden Fall eine größere und professionellere Rolle als vor zehn Jahren. Manchmal vielleicht sogar zu professionell. Ein Teil der Professionalisierung ist die Objektivierung, die bei der klassischen Managementberatung so weitreichend ist, dass soziale und emotionale Faktoren wie Persönlichkeit und Vertrauen oft vernachlässigt werden. Wahrscheinlich ist der beste Grad der Professionalisierung des Beratungseinkaufs dann erreicht, wenn ich eine Mischform aus objektiven Faktoren geschaffen habe, bei der die Soft-Skills, die eine hohe Relevanz in der Beratung haben, nicht zu kurz kommen.“ Doch kommt bei dieser Ausführung von Schüller nicht der kommerzielle Aspekt, sprich die Kosten, zu kurz, frage ich nach? Hierbei kommt es auf die individuelle Beratungsleistung an, sagt Schüller: „Wenn es eine hoch standardisierte Leistung ist, sehe ich die Kosten schon als einen sehr relevanten Faktor. Je vergleichbarer die Leistung ist und je weniger die Themen Persönlichkeit, Vertrauen, Referenzen und emotionale Kompetenz des Beraters eine Rolle spielen, desto stärker kann ich den Kostenfaktor in Betracht ziehen.“

Über den Umgang mit Kompetenzen sowie Referenzen. Und den Aufbau von Vertrauen.

Kurzum: Referenzen sind notwendig, da sie für die Projektkompetenz hoch relevant und notwendig sind. Schüller jedoch ergänzt diese Kernthese: „Ich möchte zu dem Thema Kompetenzen noch eine weitere Dimension aufmachen. Mir fehlt nämlich noch ein Begriff, das Vertrauen. Beratung lebt grundsätzlich von zwei Aspekten: Kompetenz und Vertrauen. Kompetenzen setze ich voraus, oder kann sie über Referenzen prüfen. Man kann also ziemlich schnell sehen, ob jemand Ahnung von dem hat, was er verkauft. Die Frage, ob ich ihm vertrauen kann, ist weitaus schwieriger herauszufinden. Das Thema Vertrauen spielt in der Beratungsbranche sicherlich auch deshalb eine sehr große Rolle, weil Kunden bis zum jeweiligen Projektende oftmals gar nicht wissen, ob ihre Ziele erreicht werden.” „Häufig wird dieses Vertrauen – oder besser gesagt fehlendes Vertrauen aufgrund von Unsicherheiten – bis zu einem gewissen Grad mit Reputation substituiert“, ergänze ich. Schüller erklärt meine These an einem kurzen Beispiel: „Da wäre das Vertrauen in eine Marke zum Beispiel. Eine bekannte Marke hat es potenziell leichter das Vertrauen der Kunden zu gewinnen. Bei einer klassischen Managementberatung ist es weiterhin so, dass ich eine Person vor mir habe. Da kann ich das Vertrauen nur über die Projektdauer gewinnen. Ansonsten kann man anhand der Referenzen, oder auch im Gespräch mit Leuten, die Erfahrungen mit diesem Berater gemacht haben, prüfen, ob dieser vertrauenswürdig ist.“

Wo die Beratungsreise in Zukunft hingeht.

„Ich denke, es wird immer Platz für klassische, individualisierte Managementberatung sein. Das hat viel mit hoher Kompetenz, Vertrauen und Persönlichkeit des Beraters zu tun. Auf der anderen Seite stehen die standardisierbaren Leistungen, also die Industrialisierung von Beratung. Denn dort, wo ich industrialisiere, kaufe ich nicht mehr eine Person als Berater ein. Die Frage ist natürlich wie weitreichend diese Entwicklung ist, wie weit man also die Industrialisierung oder auch Digitalisierung von Beratung wirklich treiben kann. Zusätzlich denke ich, dass auch im Trainings- und Qualifizierungsbereich noch ein großes Wachstumspotenzial steckt. In ganz anderen Formen, also viel digitaler und virtueller. Spannend ist es auch zu sehen, wie sich Beratungen in Zukunft an neue Lebensmodelle und die Work-Life-Balance anpassen.“ Was Schüller mit seinem letzten Satz genau meint, wird folgend erläutert: „In Zukunft werden z. B. klassische Beratungsteams einem Team aus Freelancern gegenüberstehen. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen mit verschiedenen Vor- und Nachteilen. Der Nachteil ist, dass man viel Aufwand betreiben muss um einen gewissen Qualitätsstandard zu halten, wenn man mit Freelancer-Teams zusammenarbeitet. Außerdem sind Steuerung und Management dann aufwendiger. Ein großer Vorteil ist, dass man mit Spezialisten arbeitet, die man zur richtigen Zeit am richtigen Ort einsetzen kann.“

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein – genau das wünschen die beiden Beratungsexperten und leidenschaftlichen FC-Fans zum Abschluss dieses Gespräches dann noch den Kickern vom Geißbockheim. Denn die könnten dem aktuellen Tabellenstand zufolge (Oktober 2019) die ein oder andere professionelle Beratungsleistung ziemlich gut gebrauchen.

Marcus Schüller

Marcus studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln und promovierte anschließend. Im Jahr 1998 wechselte er zu BrainNet, einer Beratungsfirma spezialisiert auf Supply Chain Management und Einkauf in Bonn. Dort durchlief er einen klassischen Karriereweg, zunächst als Berater, dann als Manager und schließlich als Partner. Von 2012 bis Ende 2019 war er Partner bei KPMG Advisory. Derzeit ist Marcus Senior Partner einer Strategieberatung mit Schwerpunkt Operations. Er war schon immer ein Fan des 1. FC Köln.