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Ein Kommentar von Dr. Franziska Seewald, Siemens AG

Stellen Sie sich vor, Sie wären für einen Tag Sigmund Freud. Auf Ihrem Psychosofa säßen in diesem Moment zwei Menschen: Ein Einkäufer und ein Unternehmensberater. Kollektiv aufgewühlt; in beiden Gesichtern mehr Chuckie als Gandhi. Es könnte ungemütlich werden, denn beide verbindet eine komplizierte Beziehung – im Jahr 2021 mehr denn je.

Der Einkäufer sitzt in diesem Gedankenexperiment angespannt auf dem Psychosofa, weil er insgeheim immer mehr ge- und überfordert ist mit seinen Aufgaben: Er soll ein Service-Mensch werden. Nun selbst interne Kunden glücklich machen. Dabei spielend Exzellenz verströmen und das große Bild denken. Die reale Landschaft der Support Funktionen wird währenddessen in seinem Rücken immer kleiner.


Dem Einkäufer erodiert sein Erbrecht auf Einbindung unter den Füßen weg

Und da die meisten Unternehmen sich derzeit marktstrategisch eher in eine Vielzahl flexibler NewCos zerlegen als organisch zu wachsen, erodiert dem Einkäufer zu allem Überfluss auch noch sein hartes Erbrecht auf Einbindung unter den Füßen weg. Viel Zeit für Verzweiflung bleibt ihm jedoch nicht, denn parallel muss er genau jetzt, also demographisch gesehen meist in einem spät gelagerten Berufsabschnitt, ohne eigenen Dunst von IT alle Prozessschritte digitalisieren. Manchmal existieren die bitte schnell zu digitalisierenden Prozessschritte noch gar nicht stabil. Man zwingt ihn raus aus SAP ins grelle Tageslicht zu Dienstleistermessen und Netzwerk-Events. Von dort aus blitzbefähigt soll er schwer vorhersehbare Projektbedarfe maximal auf wenige Vorzugslieferanten bündeln, zugleich aber immer auch einen gesund breit gepflegten Stamm an Alternativanbietern als Ass im Ärmel haben. Und seine Savings müssen jedes Jahr ultimativ steigen, Ehrensache, selbst wenn der Markt die Oberhand und ein beinah unverschämtes Wachstum hat.


Mittlerweile muss der Berater sehr farbenfrohe Randgruppen oder sogar Frauen als Bewerberpool anzapfen

Doch auch der Unternehmensberater hat heimlich einen hohen Puls auf dem Sofa. Sein Umsatz und die Auftragslage mögen gerade glänzen, aber er hat es trotzdem nicht leicht in seinen hübsch vertäfelten Eckzimmern, von wo aus er nervös auf einen wach-senden Markt mit Nachwuchsproblem schaut. Denn wenn er für seine wild boomende Branche einfach nur in Frieden neue Talente rekrutieren möchte, ist die Wiese der willigen weißen Männer endgültig abgegrast. Mittlerweile muss der Berater sehr farbenfrohe Randgruppen oder sogar Frauen als Bewerberpool anzapfen und sich dabei im Gegenzug von Kandidaten im Kapuzenpulli immer öfter sagen lassen, dass die wiederum ihre Folien am liebsten nur Nine to Five dafür aber bevorzugt von Cartagena aus delivern würden. Beim Kunden soll er die Extrameile zum Standard machen. Das dann erfolgsabhängig abrechnen. Plus unter stetig steigender Performanz jedes Jahr gern günstiger werden. Und die Einkäufer, von denen der Berater im Windschatten sich aufspaltender Konzerne nun oft gleich mehrere Exemplare glaubwürdig mit Honeymoon-Stimmung bespielen muss? Sie mobben ihn hinterrücks im Flüsterton auch weiterhin als Upselling-Raffzahn. Dabei ist er meistens ein nettes Kerlchen, das gedanklich rund um die Uhr Dienst am Projekt leistet. Im Ernstfall sogar feiertags. Ganz sicher auch genau jetzt, irgendwo da draußen auf einem kleinen Pelaton-Fahrrad.



Die Umbrüche in der Beratungsbranche sind gravierend

Wer also schon immer wissen wollte, ob das Universum spontan implodieren kann, nimmt Platz zwischen genau diesen beiden Professionen: Einem Einkäufer und einem Unternehmensberater. Aber warum ist das so? Was genau ist in den letzten Jahren passiert? Die vorliegende Studie macht datenbasiert anschaulich, wie sich der Beratungsmarkt, seine Kundenindustrien und damit vor allem die Welt der zuständigen Einkäufer unwiderruflich gewandelt haben. Denn die durch die gegenwärtige Pandemie zusätzlich beschleunigten Umbrüche in der Beratungsbranche sind gravierend und führen zu völlig neuen Implikationen für alle beteiligten Akteure:

Bereinigt man aktuell die Ausgaben eines Einkäufers von Beratungsdienstleistungen von Jahr zu Jahr um die M&A-Aktivitäten seiner Organisation (normalisiert man rechnerisch also die Zu- und Abgänge von Geschäftsbereichen, für die er federführend einkauft), so wird zumindest im Umfeld von DAX und MDAX deutlich, dass die jährlichen Gesamtausgaben für Consulting seit Auftakt der Pandemie in den meisten Unternehmen weitestgehend konstant geblieben sind, sprich, von Jahr zu Jahr kaum um mehr als 10% schwanken. In ihrem Nacken vernehmen die meisten Konzerneinkäufer dennoch schon länger und ganz gewiss auch weiterhin die laute Bitte ihres CFOs um Reduktion der Gesamtausgaben.


Die Projekttypen haben sich hin zur digitalen Transformation verschoben

Der reale Projektbedarf spricht währenddessen eine lautere Sprache. Die grob gleichbleibenden Ausgaben für externe Beratungsleistungen richten sich nämlich mittlerweile zunehmend auf vollkommen verschobene Projekttypen: Nur noch rund jede dritte Projektanfrage, die der Einkäufer an den externen Beratungsmarkt spielt, betrifft heutzutage ein Strategiethema in Reinform – Tendenz weiter fallend. Die große Masse der Projektvorgänge entfällt längst auf digitale Transformationen, sei es für die als zu träge erscheinenden Zentralfunktionen im Headquarter, die Ausrichtung der Geschäftsbereiche am Markt oder aber allen voran für die überfällige Digitalisierung der Produktionsstätten. Die Rasanz, mit der Unternehmen heute ihren digitalen Umbau angehen müssen, um weiter wettbewerbsfähig zu sein, lässt wenig praktischen Raum für die theoretisch erwünschte Reduktion jährlicher Beratungsausgaben.


Dem Kunden wird ein definiertes Ergebnis zu einer bestimmten Frist geschuldet

Diese gravierende Verschiebung weg von stark konzeptionell-strategischen Fragen immer mehr hin zu sichtbar erfolgreich absolvierten Transformationsabschnitten betrifft jedoch bei Weitem nicht nur die inhaltliche Ebene eines zeitgenössischen Beratungsauftrags. Denn in Wahrheit geht mit dieser auf den ersten Blick nur thematischen Verschiebung ein breiter Wandel der gesamten Geschäftsbeziehung zwischen Klienten und Beratern einher: Für digitale Transformationen beispielsweise geht jedes zweite Projektangebot seitens der Berater schon als fester Paketpreis beim Kunden ein. Die Anzahl der gebotenen Beratertage, das Maß ihrer Seniorität und auch die individuellen Tages- oder Stundenraten der eingeplanten Ressourcen werden also immer weniger sichtbar. Dem Kunden wird ein definiertes Ergebnis zu einer bestimmten Frist geschuldet und dieses gilt schließlich mit dem zuvor vereinbarten Gesamtbetrag als abgegolten. Das Risiko aus dem Ruder laufender Projektkomplexität, sei diese von fachlicher oder politischer Natur, wird dabei recht einsam vom Berater getragen.

Warum tut er das trotzdem gern? Im Allgemeinen, um bei wegweisenden Zukunftsthemen mit am Tisch zu sein. Und im konkreten Einzelfall, um die paketierten Preise im nächsten kommerziellen Evolutionsschritt mit einer erfolgsabhängigen Vergütung zu verbinden, so dass sich der eigene Beitrag zum Projekterfolg für ihn immer ganz direkt und bestenfalls ungedeckelt in höhere Einnahmen übersetzt. Fest geschnürte, hochgradig variabilisierte Preispunkte für Consulting sind die unausweichliche Zukunft, sie lösen die Zettelwirtschaft namentlicher Leistungsnachweise mit jedem neuen Tag ein bisschen mehr ab. Und wenn Live-Tracking von Beraterperformance und geschuldeten Projekt-KPIs zeitnah in bedien- und bezahlbare Plattformlösungen übersetzt sind, wird uns der Vorgang einst monatlich gestellter Beraterrechnungen ferner erscheinen als jeder fossil gewordene Fußabdruck.


Mit „blended rates“ soll das margenstarke Spielfeld rund um die aussterbenden Strategiethemen geschützt werden

Auf den derzeit wie erwähnt rückgängigen Strategiemandaten lässt sich die alte Beraterwelt derweil noch ein wenig bestaunen: Diese weiter spitz nach Aufwand pro Kopf angebotene Projekttyp weist oft und immer häufiger eine künstliche, intransparente, über das gesamte Beraterteam hinweg berechnete Tagesrate auf. Denn genaue Kostenpunkte pro Ressource ließen sich im komplexen, multiplen Ökosystem der Projekterbringung nicht mehr beziffern, so der derzeit viel gesungene Refrain von umtriebigen Seniorpartnern gegenüber ihren Kunden. Doch mit den so genannten „blended rates“ soll in erster Linie das margenstarke Spielfeld rund um die aussterbenden Strategiethemen noch eine maximale Weile einträglich geschützt werden – und zwar längst nicht mehr nur bei den beiden führenden großen Strategieberatungen sondern mit aggressivem Push hin zu undurchsichtigen Teampreisen nun auch aus der zweiten Reihe der Strategy Firmen.

Einkäufer und Berater finden sich in diesen Tagen also trotz komplizierter Liaison zunehmend in objektiver Notwendigkeit zum Dialog, sei es, um die Arithmetik neuer, erfolgsbasierter Paketvergütungen zu fixieren oder um lautstark das gebotene Transparenzmaß traditioneller Preismodelle zu verhandeln.


Die Implusion des Universums bleibt (vorerst) aus

Die zeitnahe Implosion des Universums stellt hier selbstverständlich niemand ernsthaft in Aussicht. Doch die Luft auf dem Sofa zwischen Einkäufer und Unternehmensberater bleibt auch in Zukunft elektrisch. – Sigmund Freud therapierte übrigens zeitlebens keine Paare. Nur einmal gab er dem Komponisten Gustav Mahler Beziehungsratschläge. Ein Jahr später war die Ehe gescheitert und der Patient tot. Dr. Freud fuhr sein Staffing runter und stellte die geleisteten Dienste schließlich beschwingt Mahlers untreuer Witwe in Rechnung. Tagessatz und Nebenkosten sind nicht überliefert.