BeratungEinkaufInterviewsNewsProfessional ServicesDr. Franziska Seewald im Interview mit apadua
Franziska Seewald über spannende Themen ihres Arbeitsalltages bei der Siemens AG

Mit 18 wollte Franziska Seewald Journalistin werden. Heute leitet sie den globalen Einkauf von Management Consulting bei der Siemens AG. Was beides eint: ein Gefühl für Sprache in komplexen Situationen. Nach Stationen bei der Boston Consulting Group, Coca-Cola und BASF hat es die promovierte Filmwissenschaftlerin 2017 nach München verschlagen. Der perfekte Culture Clash für die gebürtige Norddeutsche.

Wenn sie nicht gerade ihr Gehalt auf den (inoffiziellen) Pferderennbahnen dieser Welt verwettet, widmet sie sich dem Auf- und Ausbau nachhaltiger Geschäftsbeziehungen inkl. hochkomplexer (Vertrags-)Verhandlungen. Dabei kommt ihr nicht nur ihr subversiver Humor zugute, sondern vor allem die Fähigkeit, genau zuzuhören und so eine vertrauensvolle Umgebung zu schaffen.

Inwiefern sich all das in ihrem Arbeitsalltag niederschlägt, wie genau sie die Zusammenarbeit mit den hochrangigen Geschäftspartnern der Consulting Branche seit der Pandemie erlebt und warum ein respektvolles „fuck you“ gerade in Zeiten von remote work zum kollegialen Wir-Gefühl beitragen kann, schildert uns die Doppelagentin des Consulting-Einkaufs im Interview.

apadua: Ahoi, Franziska und herzlich Willkommen bei „Butter bei die Fische“. Zum Einstieg eine kleine Kennenlern-Frage: Welche Filmfigur beschreibt Dich am besten und warum?

Franziska Seewald (lacht): Ganz klar: Raymond Reddington, der genau genommen ein Serienheld ist. Zumindest erinnert mich meine eigene berufliche Rolle am ehesten an ihn. Er ist so etwas wie eine Bibliothek der Verbrecher; also der eine Gangster, der die Blacklist hat, auf der alle anderen Warlords stehen.

„Ich fühle mich manchmal wie der eine Gangster, der die Blacklist hat, auf der alle Warlords stehen.“

Übertragen auf meinen Job heißt das, dass ich idealerweise immer weiß, welcher Berater gerade mit welchem Top-Manager zu welchem Thema spricht – insbesondere wenn ich nicht dabei bin. Das richtet sich ganz oft nur im Undercover-Flüster-Modus an mich, gemäß: „Bitte nicht eingreifen, ich will Sie Folgendes nur mal wissen lassen“. Denn je höher die betroffene Hierarchieebene ist, desto weniger hat man als Einkäufer das reale Recht, mit am Mahagoni-Tisch zu sitzen – umso wichtiger ist es aber, genau über diese Gespräche im Bilde zu sein, um zumindest indirekt Mehrwert beizutragen. Letztendlich wandert die Beauftragung später ohnehin über meinen Tisch.

Um wieder auf Raymond Reddington zurückzukommen: Sprache ist sein größtes Vermögen, was ich ultimativ beeindruckend finde. Im Grunde verkörpert er das Bild vom zivilisierten Gangster: Er sammelt Kunst. Ist loyal, eloquent und kann französisch kochen. Und er demonstriert in der Serie das, was für jeden Einkäufer – allgemein gesprochen für jedes Geschäftsverhältnis – eine gesunde Taktik ist: Hart im Standpunkt sein, aber anteilnehmend im Ton. Und das beschreibt ganz gut, wie ich versuche vorzugehen. Seltsamerweise habe ich in 10 Jahren Einkaufskarriere noch niemals aktiv nach hochrangigen Informationen fragen müssen, sondern meistens stellt sich jemand neben mich, redet vertraulich los und tritt leise wieder ab. In der Regel Kollegen, manchmal aber auch Berater. Das ehrt mich. Es ist ein Magnetismus, den ich passiv pflege, indem ich sorgsam mit Informationen umgehe und sicher auch, weil ich eine sehr andere Art habe, mit Menschen zu sprechen. Diskretion ist meine härteste Währung.

apadua: Was sind die derzeit spannendsten Themen in deinem Verantwortungsbereich?

Franziska Seewald: Abgesehen von der vollen Pipeline der Projekte fordert uns in erster Linie das aktuelle Weltgeschehen. Krieg und Pandemie bilden sich unmittelbar auf die Geschäftsbeziehungen und auch auf die Vertragslage ab, die man mit Beratern hat. Oder anders: Regel‘ mal zweistellige Inflationsraten für mehrjährig laufende Projekte aufrichtig und intelligent und fahr‘ als Einkäufer trotzdem schöne Einsparungen ein!

Ein weiteres riesiges Thema ist der derzeit kollektive Burnout im Beratermarkt. Aufträge und Erlöse explodieren, aber die Beratungsunternehmen schaffen es kaum, adäquat neu einzustellen und diesen Workload auf angemessen viele Schultern zu verteilen. Das führt zu einem unmenschlichen Maß an Arbeitsdichte – über alle Karrierestufen der Berater hinweg. Vor der Pandemie auch schon, aber jetzt schlägt es um in eine völlige Unmöglichkeit, die Realität zu erfüllen.

Es ist natürlich niemandes Pflicht, das in einen neuen Umgang mit Geschäftspartnern zu übersetzen. Aber ich rate dazu, genau das zu tun! Verständnis zu zeigen. Gerade, wenn man mit jemandem redet, der dünnhäutig und am Limit ist. Der damit kämpft, meine Projektanfrage zu bearbeiten. Der mich anruft und darum bittet, die Abgabefrist von Freitag auf Sonntag zu verschieben. Und ich mich dann schon berührt frage, wo ein Mensch sein muss, wenn er darum bettelt, von Freitag auf Sonntag bitte noch Arbeitszeit zu kriegen, um überhaupt anbieten zu können. Und zwar ganz offensichtlich eben nicht aus Gier auf den Gewinn, sondern um unsere Geschäftsbeziehung mit Respekt zu erfüllen.

„Wir spüren die grüne Lichthupe von hinten, müssten ausweichen oder Gas geben, aber uns fehlen die Pedale.“

Zum anderen bewegt uns das Thema Nachhaltigkeit. Wir alle, also Einkäufer, die Projektseite und sicherlich auch die Berater, empfinden das Thema wie eine Bockwurst im Rücken – nach dem Motto: „Jetzt muss es aber echt mal losgehen, Leute. Wir pennen hier hinter der Zeit“. Gleichzeitig gibt es in den Konzernrealitäten, die ich kenne, aber kaum seriöse Instrumente der Messung für die Frage, was eine gesellschaftlich und ökologisch nachhaltige Unternehmensberatung sein soll.

Das heißt, wir spüren die grüne Lichthupe von hinten, müssten ausweichen oder Gas geben, aber uns fehlen die Pedale. Aus diesem Grund haben wir in meinem Team nun ein selbstentwickeltes Dashboard im Einsatz, das wir kürzlich an unsere Top 10 Berater gespielt haben. Wir haben uns vorher viel geistige Mühe gemacht, sogar die European Business School um Einschätzung gebeten.

Was mich persönlich besonders freut: Selbst die renommierten Strategieberatungen sind mit unserer Erhebung fein, obwohl sie ein zusätzliches Arbeitspensum bedeutet. Eben weil der Fragebogen sinnvoll ist. Und so sind wir unfreiwillig zu einem frühen Piloten geworden, damit wir aus dem Kölschen Imperativ – also dem ganzen „man müsste mal“ – endlich herauskommen.

apadua: Worauf kannst Du in deinem Arbeitsalltag auf keinen Fall verzichten?

Franziska Seewald: Ich arbeite seit mehr als drei Jahren – auch schon vor der Pandemie – ganz gern im Home Office. Da braucht es aber Strategien, um den Alltag leichtfüßig zu gestalten. Bei mir spielt der unseriöse Bildhintergrund bei Videokonferenzen eine riesige Rolle. In der Regel Jose Mourinho oder Baby Yoda – einfach, um eine Kurzweiligkeit in die redundante Realität zu bringen. Natürlich nicht in Verhandlungen, aber ich empfinde eine gewisse Albernheit und Verspieltheit als absolut wichtig – auch und gerade im Geschäftsleben. Bei technischen Problemen habe ich auch schon mal Berater genötigt, live mit mir einen neuen Hintergrund einzustellen, weil ich sonst nicht arbeiten kann (lacht). Das hätten wir früher nie so gemacht, heute bringt das beiden Seiten Haptik und Nähe.

„Das respektvolle ‚Fuck you!‘ hat in der Pandemie an Wichtigkeit für mich gewonnen.“

Zum anderen ist mir aufgefallen, dass sich im Laufe der letzten beiden Pandemiejahre meine Sprache zugespitzt hat. Zumindest in der internen Kommunikation ist sie noch einmal eigener geworden. Der Ausdruck „fuck you“ fällt im Gespräch mit Kollegen, mit denen ich sehr eng zusammenarbeite, recht häufig – ist jedoch stets mit einem Augenzwinkern verbunden und nicht mit der vollen aggressiven Endstufe. Ich komme aus Norddeutschland, da versucht man manchmal, anstatt zu fluchen, das Wort „Mäuschenmeier“ zu sagen, aber das gelingt mir nur selten. Man kann also zuspitzen: Für mich hat das respektvolle ‚Fuck you!‘ in der Pandemie an Wichtigkeit gewonnen.

Ich beschreibe Sprache gern als Iglu, das nicht geschlossen ist, sondern wie ein Halbkreis hinter einem steht – und die Identität stärkt. Die Büros sind noch immer weitestgehend leer. Kantine und Flurfunk sind over. Jeder braucht sein Iglu als Strategie, um die verlorengegangene Nähe zur Gruppe wiederherzustellen. Das muss nicht bei allen über eine pointierte Sprache gehen, aber bei mir ist sie die größte Form der Zugehörigkeit.

apadua: Mit welchen drei Begriffen würdest du die Zukunft des Einkaufs von Professional Services beschreiben?

Franziska Seewald: Wir haben es hier ja mit einer Medaille zu tun. Die eine Seite der Frage sind die Berater, die andere Seite ist der Konzerneinkauf. Die großen drei Treiber der Beraterbranche sind aus meiner Sicht: Spezialisierung, Flexibilisierung und Nahbarkeit.

Spezialisierung schließt für mich die Exzellenz im ganzen Themenbereich rund um Digitalisierung der Corporate Functions und der Geschäftsbereiche, auch M&A-Aktivitäten und im strategischen Umbau von Organisationen ein. Hier werden die großen Strategiehäuser auch weiter Hauptansprechpartner bleiben, weil es keine Alternativen gibt, die den intellektuellen Ansprüchen gerecht werden würden.

Für die Themen, die eine geringere geistige Flughöhe haben, sehe ich Flexibilisierung als Chance. Denn hier werden die sogenannten flexiblen Marktplätze für Personallösungen immer mehr an Bedeutung gewinnen. Hierfür gibt es bereits einige Anbieter auf dem Markt, die datenbankbasiert auf die Vermittlung von Fachexperten spezialisiert sind. Das funktioniert derzeit noch nicht für die Besetzung eingeschwungener Teams, wird sich aber innerhalb der nächsten Jahre ändern. Allerdings wie gesagt eher für die vielen transaktionalen Bienchen-Themen in der zweiten und dritten Reihe.

Mit Nahbarkeit meine ich, dass die Beraterbranche, nachdem Burnout und der überhitzte Markt einmal überwunden sind, facettenreicher sein und mehr Persönlichkeiten zum Vorschein bringen wird. Also eine Öffnung hin zum ganzheitlichen Menschen vollzieht, was sich dann auch in der Tonlage und den Geschäftspraktiken niederschlägt. Krawatten und Edel-Uhren sind bei den Beratern ja schon weitestgehend abgeschnallt. Die Gesprächskultur, auch Modelle der Zusammenarbeit mit dem Klienten, werden als nächstes dem breiten Trend des sympathischen Durchlockerns unterzogen.

„Die strenge Aufspaltung des Konzerneinkaufs in Strategisches und Transaktionales halte ich für sinnvoll und überfällig.“

Auf der Einkaufsseite bin ich der Überzeugung – aber da bin ich in meinem Umfeld gefühlt eine kleine radikale Minderheit –, dass sich der indirekte Einkauf in den Konzernen zeitnah, das heißt in den nächsten ein bis drei Jahren, viel rigoroser und ehrlicher aufspalten muss. Also zu unterscheiden hat, was wirklich strategische Einkaufsgebiete bzw. welche Themen eher transaktional sind und sich zum Beispiel durch Kataloge oder gut regulierte Abrufe aus Rahmenverträgen automatisieren lassen.

Das Problem daran ist, dass sich Einkäufer natürlich alle als strategisch empfinden. Niemand möchte durch einen Knopfdruck ersetzt werden. Wenn man aber ehrlich ist, dann sind die wirklich strategischen Themen im Service-Einkauf begrenzt auf die Beschaffung von Beratern, Anwälten, IT-Consulting, Finanzdienstleistungen und das verflixt komplexe Aufsetzen von Outsourcing. Damit ist aus meiner persönlichen Sicht das Feld an Professional Services, das von der Speerspitze exzellenter Einkäufer und Talente eingekauft werden sollte, größtenteils abgesteckt.

Ich glaube, diese Aufspaltung ist längst überfällig. Das traut sich nur niemand, weil es einen schmerzhaft gravierenden Umbau erfordern würde. Einhergehend mit einer Schrumpfung der Einkaufsfunktionen als solche. Denn Konzerne geben ja immer mehr Konzernteile als unabhängig in den Markt ab. Dann müssen logischerweise auch Funktionen, allen voran der Einkauf, viel mehr sportlich zusammen schnurren.

apadua: Das letzte Wort gehört dir: was Du uns schon immer einmal sagen wolltest, …

Franziska Seewald: Bisher wissen nur wenige Menschen, dass ich mich gerade mit Pferdewetten beschäftige, allerdings ausdrücklich in seriöser Fundierung – was ja natürlich jeder semisüchtige Wettkönig beteuert. Dabei ist mein großes Problem: Ich gehe zwar sehr selten auf die Rennbahn, aber wenn, dann bin ich mit zwei Red Bull Büchsen voll im Taktiktunnel und gewinne gravierend.

„Aus meiner individuellen statistischen Erfahrung heraus kann ich Glücksspiel leider sehr empfehlen.“

Meine erste Wetterfahrung habe ich damals auf der Rennbahn in Beirut gemacht. Im Libanon ist Glücksspiel verboten. Es ist mir ein Rätsel, wie es diese Rennbahn überhaupt geben kann. Genau diese illegale Grauzone hat mich angezogen – also bin ich hingefahren. Dort angekommen wollte man mich als schneeweiße Touristin zunächst zu den ganzen neureichen Raffaelo-Hut-Trägern auf die Glitzer-Tribüne setzen. Aber ich habe gleich abgewunken und gesagt, dass ich unten bei den lädierten Typen sitzen will. Bei denen, die ihre Schulden nicht begleichen können, die nervös an ihren viel zu kurzen Zigarettenstummeln ziehen und mit einem blauen Auge in die Sonne blinzeln. Ich liebe solche Orte. Da ist die Luft urteilsfrei und elektrisch. Niemand stellt sich in ein Schaufenster. An dem Tag habe ich meinen Einsatz verdreifacht. Sowas lässt einen nie mehr los. Der Rest ist Geschichte.

Zur Person:

Franziska Seewald wollte ursprünglich Bademeister dann Psychologe und später Journalistin werden. In der echten Welt promovierte sie stattdessen über Naturkatastrophenfilme und arbeitete anschließend beispielsweise bei Boston Consulting, Coca Cola und BASF. Seit 2017 leitet sie den globalen Einkauf von Management Consulting und vom Corporate Audit Mandat bei der Siemens AG. Sie ist Expertin für schwierige Verhandlungen, komplexe Verträge (insbesondere im BPO-Umfeld) und Preismodelle im Consulting Markt. In ihrer Freizeit bereist sie gern die inoffiziellen Ränder der Welt wie den Libanon, Irak, Nordkorea oder Pakistan. Denn wo der Maßanzug aufhört, fängt Verhandeln erst an. Sie mag Matcha, Mourinho und ist stolz, niemals BWL studiert zu haben.